Integration und Desintegration. Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich

Integration und Desintegration. Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich

Organisatoren
Anke Hilbrenner, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.06.2010 - 19.06.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Carina Haas, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn

Beim dritten Treffen des DFG-geförderten Netzwerkes „Integration und Desintegration. Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“ im Haus der Geschichte in Bonn vom 17. bis zum 19. Juni 2010 unter der Leitung von ANKE HILBRENNER stand das vielfältige Zusammenspiel von Sport, Herrschaft und Macht im Zentrum der Vorträge.

Im Eröffnungsvortrag „Der Fußball als beschlossene Sache – Sport und Herrschaft in der DDR“ skizzierte DITTMAR DAHLMANN (Bonn) die Situation der Mannschaftssportarten und insbesondere des Fußballs in der DDR. Der Vortrag beschäftigte sich damit, wie sich die strukturellen und politischen Gegebenheiten auf den DDR-Sport auswirkten. Dahlmann verwies darauf, dass in der Forschung der Verbindung von DDR-Sport und Wirtschaft – zum Beispiel über die Betriebssportvereine – bisher wenig Beachtung geschenkt worden sei. Mannschaftsportarten hätten es in dem unter notorischer Finanznot leidenden System schwer gehabt, ausreichend gefördert zu werden, da sie in der Regel teurer als Einzelsportarten waren. Andererseits habe gerade der Fußball einen hohen Identifikationswert geboten, so dass Mannschaftssportarten allein aus innenpolitischen Überlegungen nicht fallengelassen werden konnten. Der Vortrag führte im Folgenden aus, wie sich der DDR-Sport institutionell an die sowjetische Sportstruktur anlehnte. Viele Traditionsvereine wurden als „bürgerliche Vereine“ verboten und „Betriebssportgemeinschaften“ stellten von nun an hauptsächlich die Spitzenmannschaften im DDR-Sport. Die Institutionenvielfalt und das daraus resultierende Kompetenzwirrwarr habe es Spitzenfunktionären innerhalb und außerhalb des Sports möglich gemacht, Einfluss auf sportliche Entscheidungen zu nehmen. Dieser habe bis zur Manipulation von Spielergebnissen, wie etwa bei den Meisterschaftsgewinnen des von Erich Mielke favorisierten BFC Dynamo, gereicht. Dahlmann führte aus, dass auch das offizielle Festhalten am Amateurprinzip der ideologischen Ausrichtung führender Funktionäre geschuldet gewesen sei. Dennoch habe de facto ein Profitum im Sport Einzug gehalten, bei dem die Sportler in dem jeweiligen der Betriebsportgemeinschaft zugehörigen Betrieb nur pro forma angestellt waren und sich eigentlich hauptberuflich dem Sport widmen konnten. Dahlmann stellte fest, dass man im Hochleistungsport zu diesem Pragmatismus unter dem Deckmantel ideologischer Korrektheit spätestens ab den 1960er Jahren mit der zunehmenden Internationalisierung des DDR-Sports und der damit einhergehenden Ausweitung der Systemkonkurrenz auf das Feld des Sports gezwungen worden sei.

STEFAN HÜBNER (Bremen) stellte in seinem Vortrag „The ‚Asian Games‘ (1913-1978)– Sport and Media Orchestration between Transnational Experience and Representations of the Nation“ die Asian Games von 1962 vor und ging auf ihre Bedeutung für die Außenpolitik Indonesiens und die Konstruktion des indonesischen Nationalbewusstseins ein. Die Spiele, die 1962 in Indonesien abgehalten wurden, seien im Kontext des Kalten Krieges bzw. der blockfreien Bewegung in den asiatischen Staaten zu sehen. Hübner erläuterte, wie sich die indonesische Regierung durch die Austragung der Spiele internationales Prestige erhofft habe, um für Indonesien als Führungsmacht eines unabhängigen Asiens zu werben. Der Prestigecharakter der Asian Games sei auch in der konkreten Inszenierung der Spiele deutlich geworden, etwa angesichts der großen Bedeutung „indonesisch-nationaler“ Symbolik und der Appelle an die „asiatische Solidarität“ zum Beispiel bei der Eröffnungs- und der Abschlussfeier. Allerdings erfüllten sich, so Hübner, die von indonesischer Seite in die Asian Games gesetzten Hoffnungen nur bedingt. So hätten im Vorfeld der Spiele die Uneinigkeiten über eine Einladung Ägyptens und Nordkoreas sowie die nicht erfolgten Einladungen an die Republik China (Taiwan) und Israel alles andere als panasiatische Solidarität demonstriert. Die Differenzen seien so weit gegangen, dass von indischer Seite die Namensänderung der Spiele vorgeschlagen wurde, woraufhin ein Mob in Jakarta den indischen Gesandten des International Olympic Committee (IOC) G. D. Sondhi zur Flucht aus Indonesien bewegt habe. Schlussendlich fanden die Asian Games zwar unter diesem Namen statt, das IOC verbot es jedoch, seine Flagge zu hissen und schloss Indonesien aus dem IOC aus. Die meisten Teilnehmerländer hätten daraufhin aus Angst vor einem IOC-Bann zu den nachfolgenden Asian Games nur noch die zweite Garde ihrer Sportler geschickt. Zweifelhaft bleibt nach Meinung Hübners ebenfalls, ob das zweite große Ziel, die Schaffung eines indonesischen Nationalbewusstseins für den jungen multiethnischen Inselstaat erreicht werden konnte. Denn die disparate Bevölkerungsverteilung in Kombination mit einer geringen Medienabdeckung lasse es als unwahrscheinlich erscheinen, dass die Asian Games als nationales Identifikationsprojekt rezipiert wurden. Für die Hauptinsel, wo im Zuge der Spiele das Fernsehnetz ausgebaut wurde, könne jedoch durchaus von einer gesteigerten Identifikation mit dem indonesischen Staat gesprochen werden.

JENIFER PARKS (Billings, Montana), ging in ihrem Vortrag „,Friendly Matches‘ and ‚Enemy Elements‘ – The Unraveling of the Socialist Bloc in International Sports“ auf die Rolle des Sports als Element der sowjetischen Außenpolitik ein. Während in der noch jungen Sowjetunion das Engagement in der Körperkultur (fizkul’tura) als „sozialistischem Sport“ vorherrschte, habe sich dies im Laufe der Zeit angesichts der Systemkonkurrenz immer mehr hin zur Förderung des Wettkampfsports gewandelt. Der Vortrag konstatierte hierbei eine enge Verknüpfung von politischem System und Sport. Die Frage, mit wem Wettkämpfe ausgetragen werden sollten, sei in den frühen 1930er Jahren mit einer behutsamen Öffnung für Wettkämpfe mit nicht-sozialistischen Staaten beantwortet worden. Nach dem Abbruch dieser Beziehungen während des Zweiten Weltkriegs begann 1945 die langsame Reintegration in die internationale Sportwelt, wobei die Sowjetunion, so Parks, eine Führungsrolle für den kommunistischen Block in Verhandlungen mit den internationalen Sportorganisationen gesucht habe, diese jedoch nicht immer realisieren konnte. Parks zeigte, dass insbesondere ab den 1960er Jahren die Meinungen hinter der geschlossenen Fassade immer mehr divergierten. Die Sowjetunion habe dabei im ersten Jahrzehnt des Kalten Krieges gehofft, über Sportveranstaltungen den Zusammenhalt innerhalb ihrer Einflusssphäre zu festigen und Prestige für den Sozialismus zu erringen. In der Realität seien vor allem in den 1960er Jahren bei internationalen Sportveranstaltungen jedoch eher peinliche Situationen für die sowjetische Führung entstanden, insbesondere, wenn der sportliche Erfolg der Sowjetunion zu wünschen übrig ließ oder wenn blockinterne „Freundschaftsspiele“ von Fans zum Ausdruck ihrer antisowjetischer Haltung missbraucht wurden. Parks folgerte, dass die Fanbewegungen diese „Freundschaftsspiele“ auf ihre Art nutzten, um das eigene nationale Bedürfnis zumindest nach sportlichen Siegen über die Sowjetunion zu befriedigen. Dies habe sogar dazu geführt, dass die Anzahl der Freundschaftsbegegnungen deutlich reduziert und im Boxen und Wrestling komplett abgeschafft wurden. Die Freundschaftsspiele riefen, so die Schlussfolgerung des Vortrags, somit eine komplett andere Wirkung hervor als die intendierte – Anspruch und Realität klafften hier auseinander.

EVELYN MERTIN (Köln) berichtete in ihrem Vortrag unter dem Titel „Everybody on Target – The Multilateral Sport Relations of the Socialist Sports Organizations“ über die alljährlichen Konferenzen der Sportfunktionäre des sozialistischen Blocks. Mertin fokussierte ihre Ausführungen dabei auf die formellen Aspekte des Konferenzablaufs, von denen aus sie die Handlungsfähigkeit dieses Netzwerks analysierte. Die Konferenz fand seit 1951 in wechselnden Ländern statt und diente vor allem der Findung eines einheitlichen Standpunkts innerhalb der internationalen Sportorganisationen, um eine möglichst große Einflussnahme der sozialistischen Staaten zu ermöglichen. Dieses Netzwerk habe dabei häufig nur in zweiter Linie im Bereich des Sports gewirkt, sondern sich mit der Durchsetzung politischer Ziele, wie zum Beispiel der Aufnahme der DDR und Nordkoreas in internationale Sportverbände, befasst. Der Kreis der Teilnehmerländer habe die politischen Beziehungen des Kalten Krieges widergespiegelt. Kontinuierliche Mitglieder der Konferenz waren Bulgarien, die Tschechoslowakei, die DDR, Ungarn, Polen, Rumänien und die Sowjetunion. Zeitweise gehörten zum Beispiel auch Kuba (ab 1963), Vietnam oder China (bis 1964) dazu. Die Tagesordnung der Treffen sei sehr streng festgelegt gewesen und habe wenig Raum für Diskussionen gelassen, so mussten die fertigen Vortragsmanuskripte bereits im Vorfeld der Konferenz eingereicht werden. Anhand der Analyse der Protokolle zeigte Mertin auf, dass mit einem eingeschränkten Repertoire von Phrasen gearbeitet wurde, die den Delegationen dazu dienen konnten, ohne Gesichtsverlust (Selbst-)Kritik zu üben und die Vormachstellung der Sowjetunion zu bekräftigen. Häufiger Diskussions- und Kritikpunkt sei zum Beispiel die gängige Praxis gewesen, nur B-Mannschaften zu Freundschaftspielen innerhalb des kommunistischen Blocks zu schicken. Trotz dieses sehr eng gesteckten Rahmens seien die Konferenzen nicht immer so harmonisch verlaufen wie gewünscht; beispielsweise wurde im Rahmen eines Treffens in Prag 1984 infolge des Boykotts der Olympischen Spiele in Los Angeles durch die sozialistischen Staaten das Protokoll für die Presse verändert und anstatt des noch offenen Diskussionsstands eine abgeschlossene Meinung präsentiert. Es war gängige Praxis, dass die Delegationen nach einem Treffen interne Protokolle anlegten. Bislang wurden nur die Berichte und Protokelle der sowjetischen Seite ausgewertet. Für eine vergleichende Perspektive regte die Vortragende an, auch die Berichte der anderen Delegationen zu sichten.

UTA BALBIER (Washington, D.C.) betrachtete in der Folge den DDR-Sport im Spannungsfeld der Konzepte von „durchherrschter Gesellschaft“ und „Eigensinn“. Der Vortrag „Von laufenden Diplomaten und eigensinnigen Läufern“ zeigte auf, wie Sport zu einem zentralen Element der sozialistischen Erziehung wurde und ging in diesem Zusammenhang auch auf Abweichler im Sport ein. Balbier stellte fest, dass dem Leistungssport als einem Feld der Systemkonkurrenz dabei eine höhere politische Aufmerksamkeit als dem Massensport zugekommen sei. Für das System sei der Leistungssport insoweit von großer Bedeutung gewesen, als dass er zum ersten Bereich wurde, in dem sich die DDR international als gleichberechtigter kultureller Partner profilieren konnte. Die Spitzensportler seien zu Aushängeschildern der DDR geworden, die den Staat und das System öffentlich unterstützen sollten. Damit sei es möglich gewesen, sportliche Leistungen in politische Leistungen umzudefinieren; sportlicher Erfolg konnte als sozialistische Planerfüllung dargestellt werden. Darüber hinaus wies Balbier auf die Forschung an leistungssteigernden Mitteln unter strikten Zielvorgaben aus der Politik hin. Die medizinische und sporttechnische Forschung vollzog nach Meinung Balbiers gewissermaßen den staatlichen Zugriff auf den Athletenkörper. Somit ließe sich, zumindest intern, durch sportliche Siege auch der wissenschaftlich-technische Fortschritt symbolisieren. Die Parteiführung habe darüber hinaus den Anspruch gehabt, auch den Massensport zum Beispiel durch Sportfeste ideologisch zu vereinnahmen. Balbier zeigte in ihrem Vortrag anhand der Beispiele des Baus des Zentralstadions in Leipzig und dem in den 1980er Jahren aufkommenden Sport des Windsurfens (in der DDR-Terminologie „Brettsegeln“) jedoch auf, wie sich die Menschen zwar innerhalb staatlicher Strukturen organisierten, dies allerdings häufig aus vollkommen anderen Motiven als den staatlich vorgegebenen. In ihrem eigenen Verständnis ließen sie so die organisierte Sport- oder Gesellschaftsaktivität nur zum Vorwand einer individuellen Freizeitbeschäftigung werden. Die Betrachtungsweise Balbiers zeigt im Fazit vor allem für den Massensport auf, dass die Menschen trotz des staatlichen „Durchherrschungsanspruches“ durch individuelle Umdeutungen ihre „eigensinnigen“ Nischen fanden.

Als zentraler Aspekt der Tagung lässt sich die Instrumentalisierung und Inszenierung des Sports im Sinne der sozialistischen Ideologie oder nationaler Politik ausmachen. Wie die Referenten aufzeigten, hatte eine solche Politik sowohl positive als auch negative Auswirkungen für den Sport. Einerseits bedeutete die gesteigerte Aufmerksamkeit des Staates für den Sport – insbesondere für den Leistungssport – eine gezielte Förderung. Andererseits wurden die Sportler und ihre Leistungen ideologisch vereinnahmt. Die Verwirklichung politischer Ziele – beispielsweise die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der Staatengemeinschaft – durch eine derart charakterisierte Sportpolitik war in einigen Bereichen durchaus erfolgreich. Allerdings wurde der ideologische Anspruch der Überlegenheit durch das dem Sport immanente Wettkampfprinzip oder die realen gesellschaftlichen Verhältnisse bisweilen konterkariert.

Konferenzübersicht:

Dittmar Dahlmann (Bonn): „Der Fußball als beschlossene Sache – Sport und Herrschaft in der DDR“

Stefan Hübner (Bremen): „The ‚Asian Games‘ (1913-1978) – Sport and Media Orchestration between Transnational Experience and Representations of the Nation“

Jenifer Parks (Billings, Montana): „,Friendly Matches‘ and ‚Enemy Elements‘ – The Unraveling of the Socialist Bloc in International Sports“

Evelyn Mertin (Köln): „Everybody on Target – The Multilateral Sport Relations of the Socialist Sports Organizations“

Uta Balbier (Washington, D.C.): „Von laufenden Diplomaten und eigensinnigen Läufern“


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